Das Orangenmädchen

Altonaer Theater

Viele Jahre nach dem Ableben des Vaters fällt dem jungen Hobbyastrologen Georg ein an ihn gerichteter Brief in die Hände. Der vermeintlich einfache väterliche Brief entpuppt sich als Lebensanleitung für den hinterbliebenen Sohn. Dessen Welt dreht sich nun nicht mehr nur um die Sterne über ihm, sondern um die Menschen um ihn herum, die er aus einem anderen Blickwinkel zu sehen beginnt. Er muss sein Leben in eigene Bahnen lenken, um die Worte des Vaters verstehen und befolgen zu können. Bei den ersten Schritten aus dem Schatten seines Vaters, der ihm einige Fragen mit auf den Weg gab, muss er die Antworten dazu selber suchen. Dass ihm die schöne Isabell aus seinem Musikkurs gefällt, will er sich nicht eingestehen. Doch als er Kontakt zu ihr sucht, geht alles daneben. Wie zwei gleiche Pole stoßen sich die beiden ab. Dabei fühlen sich beide zueinander hingezogen. In diesem Zielkonflikt steckt die Komik des Stückes, denn auch sein Vater war einst in der gleichen Situation. Die romantischen Treffen mit dem mysteriösen Orangenmädchen wurden immer zu einem Missgeschick. Sein Sohn stellt sich kaum besser an, findet in den Worten des Vaters aber den Mut, seinen Gefühlen zu folgen. Auch die schöne Isabell hätte gerne eine Gebrauchsanleitung für potentielle Partner wie Georg. Diese Gefühle und Zwiespalte werden melancholisch bis heiter musikalisch aufbereitet.
Martin Lingnau („Heiße Ecke“) hat die Musik komponiert zu den Texten von Edith Jeske und schafft in dem Musiktheaterstück von Christian Gundlach nach dem Roman von Jostein Gaarder auf eindrucksvolle Weise den Wechsel von einer Stimmung zur nächsten. Für die Autoren ist die Adaption des Altonaer Theaters eine Art Uraufführung. Das Stück ist zwar nicht ganz neu, „jedoch sind in dieser Hamburger Version nun das erste Mal alle für die kleine und nunmehr einzige Fassung unseres Musicals geschriebenen und komponierten Lieder zu hören“, erklärt Martin Lingnau. Es geht nicht nur philosophisch zu mit der Frage „Kann uns denn das Leben keine zweite Chance geben?“, die musikalisch in den Raum geworfen wird, sondern stellenweise auch eher handfest, wenn zwischen den Generationen beispielsweise ein Streit über die jeweils andere Lebensweise entbrennt mit gegenseitigen Vorwürfen, die in einem eher hitzigen Duett geäußert werden.

Gut ausdifferiert in der Inszenierung von Harald Weiler wurden die Handlungsebenen. Das Musical hat zwei Handlungsebenen, nämlich Vergangenheit und Gegenwart. Das „Orangenmädchen“ erscheint als Rückblende im Stück, so dass die Gegenwart eine Aufarbeitung der Vergangenheit ist für zwei der Protagonisten im gegenseitigen Umgang wie auch im Umgang mit der dritten Figur aus der Gegenwart. Isabell ist sozusagen der Wendepunkt der Gegenwartsebene in Richtung Zukunft. Die vier Figuren sowohl stimmig wie auch gegensätzlich zu inszenieren, war die Herausforderung des schweren Stückes. Denn nur im Schauspiel finden sich unausgesprochene Antworten auf die Fragen, die in den Raum gestellt werden. Das Agieren des Sohnes ist eine Reflexion des Lebens seines Vaters, über das er in seinem Brief schreibt. Der Sohn kann es praktisch nacherleben. Aber nicht nur die Regie überzeugt, sondern auch die Darsteller, die wechselhafte Atmosphären entstehen lassen müssen in den vielen Situationen, in denen sie sich wieder finden. Carolin Fortenbacher und Sascha Rotermund ergänzen harmonisch einander in der romantischen Vergangenheitsebene des Stückes. Sonja Dengler und Benjamin Hübner formen ein energisches Liebespaar der Gegenwartsebene, dem jede Romantik misslingt. Sonja Dengler setzt ihre große Ausstrahlung gekonnt ein und spielt eine Göre, die sich ihre mangelnde Erfahrung mit Gefühlen und Romantik nicht anmerken lassen will und spielerisch ausgewogen zwischen Trotz und Komik agiert. Carolin Fortenbacher zeigt große Wandlungsfähigkeit und wechselt nahtlos vom Orangenmädchen zur zurückblickenden Malerin, die ihre Gefühle nicht auf die Leinwand bringen kann. Viel Energie entlockt sie ihren Stimmbändern, denn eine große Sängerin ist sie nun einmal. Die eigentliche Leistung, die unbedingt zu erwähnen ist, das ist das emotionsbetonte Singen aus der Situation heraus. Ihre Rolle gelingt ihr sehr gut. Zeitweise bringt sie als „Orangenmädchen“ Komik in das Stück, wenn sie als angehende Malerin in einer romantischen Situation anmerkt, dass jede der von ihr gekauften Orange anders ist. Das trifft auf das Musical ebenso zu und beschreibt es passend. „Das Orangenmädchen“ kann andersartiger kaum sein, aber nach Meinung der Musical-Zeitung.de auch kaum besser als in der Inszenierung, wie sie das Altonaer Theater erstmals als musikalische „Vollversion“ des Autorenteams zeigt.